Deutscher Gehörlosen-Bund e.V.
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Der Deutsche Gehörlosen-Bund e.V. ist mit der Antwort der Bundesregierung bezüglich „Arbeitsassistenz“ nicht zufrieden und strebt weiter an, die Teilhabe am Arbeitsleben zu verbessern und die Kommunikation sicherzustellen.

08. Juni 2018

Auf die Antwort der Bundesregierung zur Kleinen Anfrage der Fraktion DIE LINKE über „Probleme bei der Gewährung des Rechtsanspruchs auf Arbeitsassistenzleistungen“ (Drucksache 19/2339) nehmen wir wie folgt Stellung:

  1. Die 1.923 bewilligten Anträge zur Kostenübernahme einer notwendigen Arbeitsassistenz aus dem Jahr 2008 sind im Jahr 2017 mit 3.690 Anträgen fast um das Doppelte gestiegen. Uns fehlt jedoch ein Gesamtüberblick der gestellten, abgelehnten oder zurückgezogenen Anträge. Außerdem sind wir dennoch überrascht über diese Anzahl, da wir annahmen, dass es mehr Menschen mit Behinderungen gibt, die Arbeitsassistenzleistungen erhalten. In Deutschland leben laut Bericht zur Statistik der schwerbehinderten Menschen des statistischen Bundesamtes 2014 insgesamt 315.799 Menschen mit Sprach- und Hörbeeinträchtigungen.

  2. Der Gesamtbetrag der Integrationsämter für Arbeitsassistenzleistungen ist von 12,31 Mio. Euro im Jahr 2008 auf 32,35 Mio. Euro im Jahr 2017 fast um das Dreifache gestiegen. Uns fehlt die Aufteilung der Arbeitsassistenzformen (Gebärdensprachdolmetscher, Schriftdolmetscher, Kommunikationsassistenz, Mobilitätsassistenz, etc.), die Klärung der Honorar- bzw. Stundensätze für Formen der Arbeitsassistenz und die Aufteilung der Behinderungsarten der LeistungsempfängerInnen.

  3. Die Integrationsämter der Länder richten sich im Hinblick auf die Vergütung der GebärdensprachdolmetscherInnen nicht immer nach dem Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz (JVEG), weil Gebärdensprachdolmetscher nur bei der Ausführung von Sozialleistungen nach dem JVEG bezahlt werden, wenn sie selbst die Sozialleistung nicht sind (Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 30.05.2016 - 7 A 10583/15). Das ist absurd, da Dolmetscherleistungen für uns immer noch Sozialleistungen sind. Die Begründung der Bundesregierung ist nicht nachvollziehbar und unzutreffend.
    Die Formulierung „aufgrund gesetzlicher Vorgaben in §19 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 4 SGB X i.V. mit dem JVEG“ aus der alten BIH-Empfehlung seit 2008 wurden aus der aktuellen BIH-Empfehlung (14.09.2014) entfernt. Im Jahr 2013 wurde das JVEG durch das 2. KostRModG reformiert, worin der Stundensatz von 55 Euro auf 75 Euro erhöht wurde. Wir befürchten, dass die GebärdensprachdolmetscherInnen vermehrt Angebote mit Vergütungen nach dem JVEG in anderen Bereich annehmen. Die Konsequenz wäre, dass es für die Gehörlose und Menschen mit Hörbehinderungen sehr schwierig ist, eine/n Gebärdensprachdolmetscher/in im Bereich Arbeit zu bekommen. Im schlimmsten Fall könnten viele Betroffene arbeitslos werden, da die kommunikativen Barrieren nicht beseitigt werden können. Wir fordern eine gerechte, einheitlich vorgegebene und angemessene Vergütung der GebärdensprachdolmetscherInnen in allen Bereichen.

  4. Man stelle sich vor, ein Gehörloser erhält die Zusage für eine neue Arbeit und beantragt die Leistung „Arbeitsassistenz“. Sein Chef bzw. Arbeitgeber beobachtet ihn während der Probezeit. Ohne Arbeitsassistenz wird die Arbeit dieses Gehörlosen nicht annährend so verrichtet werden können, wie die eines hörenden Bewerbers. Wenn die Bewilligung erst eintritt, nachdem aufgrund der Kommunikationsprobleme der Arbeitsplatz bereits verloren ist, nutzt selbst ein positiver Bescheid vom Integrationsamt dem wieder arbeitslosen Hörbehinderten nichts. Er hatte somit keine Chance, seine ganze Arbeitsleistung zu erbringen und seine Fähigkeiten unter Beweis zu stellen.
    Oft bringen lange Bearbeitungszeiten, wiederholte Rückfragen und unberechtigte Ablehnungen für ArbeitnehmerInnen mit Hörbehinderungen erhebliche Schwierigkeiten mit sich, die weit über den Arbeitsplatz hinauswirken.
    Wir halten es für notwendig, die Dauer der Bearbeitung von Anträgen auf Arbeitsassistenz zu beschleunigen und einen Pauschalbetrag ab der Antragstellung bis zur Bewilligung zur Verfügung zu stellen. Damit würde die erste Kommunikationshürde genommen werden, bevor nach Wochen oder auch Monaten ein Bewilligungsbescheid vorliegt. Je schneller der Antrag bearbeitet wird, umso weniger muss die Pauschale in Anspruch genommen werden.
    Die Kappungsgrenze von 50% des gezahlten Arbeitgeberbruttos und von 50% der Arbeitszeit sollten abgeschafft werden. Der Bewilligungszeitraum sollte außerdem zwei Jahre betragen.

Im Koalitionsvertrag der 19. Legislaturperiode des Deutschen Bundestages zwischen der CDU, der CSU und der SPD steht:

Gemeinsam mit der Bundesagentur für Arbeit werden wir die Ursachen der überdurchschnittlich hohen Arbeitslosigkeit von Menschen mit Behinderungen genau analysieren und passgenaue Unterstützungsangebote entwickeln.

Im Hinblick auf die Verbesserung der Teilhabechancen von hörbehinderten Menschen, darauf die Inklusion im Arbeitsleben zu verwirklichen und damit eine Forderung der UN-BRK (Artikel 27) zu erfüllen, messen wir der Leistung Arbeitsassistenz eine besonders hohe Bedeutung bei. Erst durch eine Arbeitsassistenz kann auch eine höhere Beschäftigungsquote der gehörlosen Menschen auf dem ersten Arbeitsmarkt erreicht werden.

In diesem Zusammenhang sollte auch darauf hingewiesen werden, dass in bestehenden Arbeitsverhältnissen und damit verbundenen bzw. dafür notwendigen Fortbildungsmaßnahmen die Nichtakzeptanz von begleitenden Arbeitsassistenzleistungen durch Arbeitgeber oder Veranstalter (z.B. die Ablehnung von Dolmetscheranwesenheit bei privaten Unternehmen) verstärkt geahndet wird. Die IA/IFDs erhalten hierbei mehr Handlungsspielraum, um davon betroffene behinderte Menschen zu unterstützen oder eine Ahndung in die Wege zu leiten. Betroffene bleiben in solchen Situationen nicht selten hilf- und unterstützungslos zurück.

Wir werden unsere Anregungen und Vorschläge an die Arbeitsgruppe, welche im November 2018 eine neue BIH-Empfehlung zur Arbeitsassistenz abgeben wird, weiterreichen und außerdem die 16 Landesverbände der Gehörlosen dazu anregen, die mit den zuständigen Integrationsämtern der Länder Kontakt aufnehmen werden, zufriedenstellende Antworten auf unsere Fragen abzugeben.

Die Stellungnahme 02/2018 in pdf-Datei können Sie herunterladen und gerne weiterleiten.

Literaturquellen:
Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Sabine Zimmermann (Zwickau), Sören Pellmann, Susanne Ferschl, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE über "Probleme bei der Gewährung des Rechtsanspruchs auf Arbeitsassistenzleistungen" (Drucksache 19/2339; 22.05.2018)