DGB-Pressemitteilung 03/2020
22. April 2020
Berlin, 22.04.2020
Pressemitteilung 03/2020
Das Verwenden von Mund-Nase-Masken ohne und mit Sichtfenster erschwert die Kommunikation zwischen Hörenden und Gehörlosen. Die Möglichkeiten der Kommunikation müssen vielfältiger sein!
Zum Schutz vor einer Infektion durch das Coronavirus machen inzwischen alle Bundesländer das Tragen von Mund-Nase-Masken zur Pflicht, z. B. in Bussen, Bahnen und Geschäften.
Uns haben hierzu viele Presseanfragen erreicht, z. B.: Sind Gehörlose durch Masken benachteiligt, weil sie dann nicht von den Lippen lesen können? Was bedeuten die Masken für die alltägliche Kommunikation von Gehörlosen? Auch fragen immer mehr gehörlose und stark schwerhörige Menschen nach Empfehlungen für Masken, die ihrem Kommunikationsbedürfnis entgegen kommen.
Der Deutsche Gehörlosen-Bund e. V. vertritt vor allem die Interessen der Gehörlosen, d. h. der gebärdensprachigen Menschen mit Hörbehinderung. Die Deutsche Gebärdensprache (DGS) ist seit 2002 als eigenständige und vollwertige Sprache gesetzlich anerkannt.
Das „Lippenlesen“, welches eine Maske mit Sichtfenster ermöglichen sollte, spielt für Gehörlose nur eine stark untergeordnete Rolle. „Lippenlesen“ ist sehr anstrengend und führt häufig zu Missverständnissen, denn selbst unter optimalen Bedingungen sind nur etwa 30 % des Gesprochenen bzw. der Laute anhand der Lippenbewegungen des Sprechers visuell wahrnehmbar – 70 % müssen erraten werden! Viele Mundbewegungen sind sich sehr ähnlich, z. B. „Mutter“ und „Butter“ oder „aus“ und „Haus“. Vor allem in angespannten Situationen (Arztbesuch, Klinikbesuch) ist es unmöglich, allein über das Lippenlesen alles zu verstehen.
In der Praxis haben Masken mit Sichtfenster zudem den Nachteil, dass die Fenster durch die Atemluft schnell beschlagen. Dann ist der Mund ohnehin schlecht zu sehen. Alternativ hierzu werden aktuell auch immer wieder durchsichtige Voll-Gesichtsschutz-Masken angesprochen bzw. von Händlern angeboten. Auch hier ergibt sich ein störendes Beschlagen durch die Atemluft, das die Ablese Qualität deutlich herabsetzt. Mehr noch aber enthalten diese Masken u. a. PVC, das z. B. von den Verbraucherzentralen als gesundheitsschädlich eingestuft wird.
Die Mund-Nase-Masken mit Sichtschutz oder aus komplett durchsichtigem Material werden aus den genannten Gründen vom Deutschen Gehörlosen-Bund nur unter Vorbehalt empfohlen. Die Entscheidung zur Nutzung dieser nur sehr begrenzten Hilfsmittel bleibt letztlich jedem gehörlosen und hörbehinderten Menschen entsprechend seinen individuellen Bedürfnissen selbst überlassen.
Bestehen bleibt die Tatsache, dass die Kommunikation für gehörlose und hörbehinderte Menschen mit einer/m Gesprächspartner/-in, der/die einen durchsichtigen oder undurchsichtigen Mund-Nase-Schutz trägt, stark erschwert ist.
Damit wollen wir aber keineswegs jenen Menschen mit Hörbehinderung widersprechen, die eine Mund-Nase-Maske mit Sichtschutz als hilfreich erachten: In der Gruppe der Menschen mit Hörbehinderung (von leichtgradig schwerhörig bis zu gehörlos) gibt es unterschiedliche, individuelle kommunikative Bedarfe, und manch eine/r profitiert stark vom Mundbild und somit womöglich auch etwas von einer Maske mit Sichtschutz. Wir können daher nur fordern: Es sollte jedes Hilfsmittel, welches Menschen mit einer Hörbehinderung bei der Kommunikation mit ihrem Umfeld unterstützt, aufgegriffen und angewandt werden. Wir vom Deutschen Gehörlosen-Bund e. V. stehen für Bilingualität, d. h. für ein Leben mit Deutscher Gebärdensprache und deutscher Sprache (in Laut- bzw. Schriftsprache). Jeder Weg zu gelingender Kommunikation wird von uns unterstützt.
Auch das Verwenden von Stift und Papier (schriftliche Kommunikation) ist eine hilfreiche und praktische Möglichkeit für die Kommunikation, weiterhin gibt es Spracherkennungsprogramme als App auf dem Smartphone, die im Alltag anwendbar sind (Deutsche Gehörlosenzeitung 04/2019, Seite 28-29 Untertitel zum Mitnehmen - Die Spracherkennung ist im Anmarsch. Aber wie gut funktionieren Smartphone-Apps, die Gespochenes in Text umwandeln? Ein Test.). Alternativ bzw. ergänzend kann bei kurzen Gesprächen das Herunterziehen des Mund-Nase-Schutzes unter Wahrung der Abstands- und Hygieneregeln helfen.
Für essenzielle und (vor allem in Corona-Zeiten lebens-) wichtige Gespräche, etwa mit medizinischem Personal, fordern wir jedoch, dass Dolmetscher/-innen für DGS und Deutsch über den Vermittlungsdienst Tess oder über Videotelefonie bzw. Webcam, mit iPad, Smartphone oder Laptop einbezogen werden. Wenn Ärzte und Ärztinnen sowie Pflegekräfte FFP2- oder FFP3-Masken tragen, stellt sich die Frage des Sichtfensters ohnehin nicht.
Mit einer/m gebärdensprachkompetenten Gesprächspartner/in ist dagegen die Kommunikation in Gebärdensprache auch mit Schutzmaske (mit oder ohne Sichtschutz) weitestgehend möglich, weil die Gebärdensprache aus manuellen Komponenten (Handform, Handstellung, Ausführungsstelle und Bewegung) und nichtmanuellen Komponenten (Mimik, Mundbild, Mundgesten, Kopf- und Oberkörperhaltung, Blickrichtung) besteht. Über eine Distanz von zwei, fünf oder zehn Metern ist die Kommunikation per Gebärdensprache relativ problemlos möglich, selbst durch Glasscheiben oder Fenster.
Die Pressemitteilung 03/2020 in pdf-Datei können Sie herunterladen und gerne weiterleiten.
DGB-Stellungsnahme 04/2020
02. April 2020
Berlin, 02.04.2020
Stellungnahme 04/2020
Bereitstellung von gesundheitsrelevanten Informationen zur Corona-Krise in Gebärdensprache und mit Untertiteln: zum aktuellen Stand
In Bezug auf die Stellungnahme des Deutschen Gehörlosen-Bundes (DGB) vom 06.03.2020 weisen wir auf den aktuellen Stand der Entwicklungen in der Frage der Barrierefreiheit bzw. vollen Zugänglichkeit zu gesundheitlichen Informationen zur Ausbreitung des Coronavirus in Deutscher Gebärdensprache und mit Untertiteln auf Bundesebene hin.
Der Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen, Jürgen Dusel, fünf behindertenpolitische Sprecher/-innen der Bundestagsfraktionen, Wilfried Oellers (CDU/CSU), Angelika Glöckner (SPD), Jens Beeck (FDP), Sören Pellmann (DIE LINKE) und Corinna Rüffer (Bündnis 90/Die Grünen), der Deutsche Behindertenrat und die BAG Selbsthilfe unterstützen die DGB-Stellungnahme vom 06.03.2020. Wir bedanken uns bei ihnen allen.
Wir haben fünf Anträge bei der Schlichtungsstelle des Bundes (§ 16 BGG) eingereicht. Der Rechtsanwalt Dr. Oliver Tolmein vertritt uns. Die Bundesfachstelle Barrierefreiheit hat sich mit den Bundesbehörden beraten und eine kurze Handreichung veröffentlicht, die einen schnellen Überblick über barrierefreie Formate und Informationsmöglichkeiten bietet.
Auf Grundlage des Verbots der Benachteiligung von Menschen mit Behinderungen durch die Träger der öffentlichen Gewalt (§ 7 BGG) haben wir einige Forderungen an das Bundeskanzleramt, das Bundesministerium für Gesundheit (BMG), das Robert Koch-Institut (RKI), die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BKK) sowie das Auswärtige Amt (AA) gerichtet. Wir fassen sie hier zu drei Kernforderungen zusammen:
- Tagesaktuelle Informationen öffentlicher Stellen des Bundes über das Coronavirus bzw. die Corona-Krise müssen über Videofilme in Deutscher Gebärdensprache (DGS) und mit Untertiteln auf den Websites und in den sozialen Medien zur Verfügung gestellt werden.
- Ein simultanes Dolmetschen für DGS und Deutsch/Englisch muss bei der Bundespressekonferenz und bei Pressekonferenzen im Bundeskanzleramt und in den Bundesministerien, besonders im BMG sowie bei nachgeordneten Behörden wie dem RKI, bereitgestellt werden, sofern diese Veranstaltungen live übertragen werden. Die Videos müssen zudem mit Untertiteln versehen werden. Auch die von der Bundeskanzlerin abgegebenen Erklärungen, die sie allein und unabhängig von Pressekonferenzen an die Bevölkerung richtet, müssen simultan und im gleichen Bild gedolmetscht werden, sodass alle Medien, die diese Erklärung verbreiten, damit auch die live gebärdete Übersetzung ausstrahlen.
- Direkte Kommunikation und die Erreichbarkeit von Hotlines zum Coronavirus müssen sichergestellt werden (Fax, E-Mail, Telefonnummer des BMG, Notrufnummer 110/112 und die Nummer des ärztlichen Bereitschaftsdienstes 116117 über Tess oder über Videotelefonie per Webcam mit Dolmetscher/-innen für DGS und Deutsch).
Über die Schlichtungsstelle des Bundes und unseren Rechtsanwalt haben wir Antworten von den Bundesministerien und nachgeordneten Bundesbehörden erhalten und geben dazu unsere Einschätzungen ab:
Der Staatssekretär und Sprecher der Bundesregierung Steffen Seibert hat in einem freundlichen Schreiben betont, dass kein Mensch mit Behinderung von Informationen ausgeschlossen werden dürfe, vor allem wenn sich diese aktuell als lebenswichtig erweisen könnten. Deshalb lege die Bundesregierung besonderen Wert darauf, Informationen auch barrierefrei anzubieten und dieses Angebot Schritt für Schritt auszubauen.
- Die bereits bestehenden Beratungsservices für Gehörlose und Hörgeschädigte seien thematisch um Fragen rund um das Coronavirus erweitert worden: Fax: 030 / 340 60 66 07, E-Mail: info.deaf@bmg.bund.de / info.gehoerlos@bmg.bund.de, Gebärdentelefon (Videotelefonie): https://www.gebaerdentelefon.de/bmg/
- Auf seinem YouTube-Kanal stelle das BMG Erklärvideos zu häufigen Fragen rund um das Coronavirus mit Untertiteln zur Verfügung.
- Das BMG bemühe sich darüber hinaus, Pressekonferenzen künftig in Gebärdensprache zu übersetzen.


DGB-Stellungsnahme 03/2020
06. März 2020
Berlin, 06.03.2020
Stellungnahme 03/2020
Fehlender Zugang zu gesundheitlichen Informationen über das Coronavirus in Gebärdensprache und mit Untertiteln
Viele Gehörlose und andere Menschen mit Hörbehinderungen sind derzeit wegen des Coronavirus besorgt und verunsichert. Sie stoßen durchgehend auf Barrieren, angefangen bei der Ansteckung. Ganz nach dem Vorbild der Ansteckungskette handelt es sich um eine regelrechte Barrierekette! Ein Videofilm des Vereins „Gemeinschaft, Inklusion, Bildung sind da“ (GIBDA e. V.) gibt dem Protest Ausdruck. Der Film mit dem Titel „Coronavirus – Risiken durch Ignoranz in punkto Aufklärung in Gebärdensprache“ in Deutscher Gebärdensprache und mit Ton und Untertiteln findet weite Verbreitung.
Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) hat auf seiner Website über das Coronavirus informiert und Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat am 04.03.2020 eine Regierungserklärung zur Bekämpfung des Coronavirus abgegeben. Das Robert-Koch-Institut (RKI) klärt auf seiner Website ausführlich über COVID-19 auf. Auch die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) hat Antworten auf häufig gestellte Fragen zum neuartigen Coronavirus auf ihrer Website veröffentlicht. Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) hat auf seiner Website den „Ratgeber für Notfallvorsorge und richtiges Handeln in Notsituationen“ veröffentlicht. Das Auswärtige Amt (AA) stellt auf seiner Website Informationen über das Coronavirus für Reisende bereit.
All diese sehr wesentlichen Gesundheitsinformationen sind jedoch nur in deutscher Schriftsprache und deutscher Lautsprache verfügbar. Sie sind nicht barrierefrei bzw. für Gehörlose und andere Menschen mit Hörbehinderungen nicht zugänglich, da die deutsche Schrift- und Lautsprache für sie eine Fremdsprache ist. Dies widerspricht der Notwendigkeit, dass sie in der Lage sein müssen, rechtzeitig zugängliche Informationen in Deutscher Gebärdensprache, ihrer Muttersprache, und mit Untertiteln zu erhalten, um bestmöglich für die eigene Gesundheit zu sorgen und die Ausbreitung von Infektionen zu minimieren.
Durch das Behindertengleichstellungsgesetz (BGG), die Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung (BITV 2.0), die EU-Richtlinie 2016/2102 über den barrierefreien Zugang zu den Webseiten und mobilen Anwendungen öffentlicher Stellen und durch die Artikel 8, 9, 11, 21 und 25 der UN-Behindertenrechtskonvention hat Deutschland sich verpflichtet, die Zugänglichkeit zu gesundheitlich relevanten Informationen in Deutscher Gebärdensprache und mit Untertiteln sicherzustellen. Alle fünf Bundesbehörden (BMG, RKI, BZgA, BBK und AA) dürfen laut BGG nicht benachteiligen bzw. diskriminieren. Dies tun sie jedoch in unserem aktuellen Fall. Sie müssen sich umgehend mit der Bundesfachstelle für Barrierefreiheit in Verbindung setzen und für Abhilfe sorgen.
Andere Länder, z. B. Italien, Österreich und die USA haben bereits umgesetzt, dass Gebärdensprachdolmetscher/-innen vor Ort bei Pressekonferenzen eingesetzt und live im Fernsehen bzw. Internet übertragen werden. Das sind vorbildhafte Beispiele.
Daher appelliert der Deutsche Gehörlosen-Bund an alle öffentlichen Stellen des Bundes, alle lebenswichtigen Informationen in Deutscher Gebärdensprache und mit Untertiteln auf den Webseiten sowie über die sozialen Medienkanäle (Facebook, Twitter, Instagram) zur Verfügung zu stellen und alle übertragenen öffentlichen Ankündigungen, z. B. Pressekonferenzen, mit Live-Untertiteln zu versehen. Diese Informationen müssen zudem von qualifizierten Gebärdensprachdolmetscher/-innen vor Ort bereitgestellt werden.
Wir haben fünf Bundesbehörden in den letzten Tagen bereits angerufen und kontaktiert, doch stehen die konkreten Antworten zugunsten der besorgten gehörlosen Mitbürger/-innen bisher noch aus. Mit dieser Stellungnahme möchten wir auf unsere verbrieften Rechte hinweisen. Ansonsten sehen wir uns gezwungen, Anträge auf die Einleitung eines Schlichtungsverfahrens bei der Schlichtungsstelle nach § 16 des Gesetzes zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen (BGG) einzureichen, um weitere Abhilfe zu erreichen.
Die Stellungsnahme 03/2020 in pdf-Datei können Sie herunterladen und gerne weiterleiten.